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Geschichte

Das Betreute Wohnen in Familien (BWF), welches früher „Psychiatrische Familienpflege“ genannt wurde, ist eine der ältesten Formen der Versorgung von Menschen mit psychischen und geistigen Erkrankungen in Europa. Dabei hat sich das BWF im Laufe der Jahrhunderte immer wieder an die veränderten Bedingungen der Gesellschaft angepasst. Im Folgenden ein kurzer Überblick:

Im 13. Jahrhundert findet das BWF seinen Ursprung im belgischen Ort Geel. Eine Legende aus dem sechsten Jahrhundert begründet die besondere Hinwendung der Bewohner der Kleinstadt zu Menschen mit psychischen Erkrankungen. Die Geeler „Heil- und Pflegeanstalt“ zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass ein großer Teil der Langzeitpatienten der Anstalt in Familien betreut wurde- ein Konzept, das sich bis heute dort in dieser Form bewährt hat.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Patienten in deutschen Anstalten deutlich zu und es begann die Debatte um die Psychiatrische Familienpflege in Deutschland. Als Alternative zu den bereits existierenden psychiatrischen Anstalten zwar anfangs stark umstritten, wurde sie als Ergänzung zur Versorgung der erkrankten Menschen eingeführt. Ende des 19. Jahrhunderts wurden psychisch Erkrankte vor allem von bäuerlichen Familien aufgenommen und als preiswerte Arbeitskräfte in der Landwirtschaft eingesetzt.

Während des Dritten Reichs und nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 gerät die Familienpflege in Folge der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“ in Deutschland zunehmend in Vergessenheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestehen nur noch vereinzelte Familienpflegeverhältnisse.

In den 1980er Jahren gewann die Familienpflege schließlich wieder an Bedeutung. Besonders in den Regionen Bonn und Ravensburg begann sie sich zunächst wieder zu etablieren. Während früher hauptsächlich Menschen mit psychischen Erkrankungen in Gastfamilien ihren Platz fanden, leben seither und bis heute auch zunehmend Menschen mit geistigen Behinderungen in Gastfamilien.

Im Jahr 1997 organisieren sich die Teams der Familienpflege bundesweit als „Fachausschuss Familienpflege“ unter dem Dach der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP).

Der Landesverband Westfalen-Lippe beschließt 2003 die flächendeckende Einführung der Familienpflege als regulärer Baustein der sozialpsychiatrischen Versorgung mit dem Ziel von 300 Pflegeverhältnissen innerhalb von drei Jahren.

Der DGSP-Fachausschuss empfiehlt 2005 als bundeseinheitliche Bezeichnung für die Familienpflege „Betreutes Wohnen in Familien“ mit dem Zusatz „Psychiatrische Familienpflege“ bzw. „Familienpflege für Menschen mit geistiger Behinderung“. Heute hat sich die flüssigere zusammengefasste Bezeichnung „Betreutes Wohnen in Familien für Menschen mit Behinderung“ etabliert.

Im Jahressteuergesetz stellt die Bundesregierung 2009 das Einkommen der Gastfamilien aus der Betreuung der in der Familie aufgenommenen Menschen mit seelischen oder geistigen Behinderungen steuerfrei.

Das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) wurde 2016 verkündet und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Die Umsetzung des BTHG soll in vier Reformstufen zwischen 2017 und 2023 umgesetzt werden. Auch das BWF wird in diesem Rahmen neu strukturiert und organisiert. Dieser Prozess ist bis heute (2022) noch nicht abgeschlossen.

Heute gibt es im Bundesgebiet eine große Zahl an Pflegeverhältnissen und das Betreute Wohnen in Familien bietet durch die individuelle Ausrichtung eine besondere Versorgungsmöglichkeit in der sozialpsychiatrischen Landschaft.

Dymphna von Geel (Schutzpatronin des BWF)